Ableismus
Ableismus bezeichnet unter anderem eine Haltung, in der man die eigenen Fähigkeiten (auf Englisch „Abilities“) zum Standard setzt und alle Menschen, die diese Fähigkeiten nicht besitzen, als minderwertig einstuft. Die Journalistin Rebecca Maskos beschreibt das so: „Die Bewertung eines Menschen entscheidet sich dabei danach, was sie oder er „kann“ oder „nicht kann“. Damit ist auch Ableism eine Form des Biologismus, ein Bewertungsmuster anhand einer erwünschten biologischen (körperlichen oder geistigen) Norm. Der Mensch wird reduziert auf und gemessen an seiner körperlichen oder geistigen Verfassung: Sie bestimmt ihn als ganzen Menschen, „macht ihn aus“. In diesem Denken tun behinderte Menschen dann zum Beispiel immer etwas nur „trotz“ oder „wegen“ ihrer Behinderung. (…) Ableism bezeichnet eine Form der Beurteilung Einzelner hinsichtlich ihrer körperlichen, geistigen und psychischen Fähigkeiten und Funktionen: Personen werden damit auf ihren Körper reduziert und zu Stellvertreter:innen einer vermeintlichen Gruppenidentität. So ist Ableism die treffendere Bezeichnung für etwas, das sonst oft vereinfacht Behindertenfeindlichkeit genannt wird.“ (gefunden in dieser Broschüre zum Thema Ableismus der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V.) Nach langer Zeit bekomme ich zum ersten Mal wieder eine gewöhnliche Erkältung, und leide ganz furchtbar unter dem Schnupfen, dem Husten, den Gliederschmerzen, den Rückenschmerzen, die bis tief in die Oberschenkel ziehen. Vor allem aber unter meiner Energielosigkeit – wo doch das Tun und das Bewegen immer meine Lösungen für alles sind. Jetzt quäle ich mich morgens aus dem Bett und schaffe es kaum, mir ein Frühstück zuzubereiten.
Ich bin ungeduldig mit mir, will mir diese erzwungene Pause nicht gönnen (als ob ich das nicht jeden Monat üben würde), schiele neidisch auf die eifrig joggenden Menschen unten auf der Straße und gleichzeitig schäme ich mich für diese Gefühle. Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass ich jetzt eine ganze Woche oder vielleicht sogar zwei „verloren“ habe. Mir ist völlig klar, wie lachhaft das klingen muss für einen Spoonie, für eine Person mit Long Covid, für Menschen, die mit einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit leben. Dass ich damit genau den ziel-orientierten Mist fördere, den ich nicht will, statt der zyklus-orientierten Herangehensweise, die ich eigentlich will.
Anstatt diese Peinlichkeit wegzudrängen, versuche ich, damit zu sitzen. Benenne ich vor mir und in Gesprächen, dass ich viel zu wenig Ahnung davon habe, wie viel mit weniger Energie und eingeschränkten körperlichen Möglichkeiten zu schaffen ist, dass ich gesundheitlich verwöhnt bin, dass das natürlich naiv und arrogant ist.
Vor allem benenne ich, dass dass das mein verinnerlichter Ableismus ist. Dass auch in mir sich alles orientiert an einem Zustand ziemlich stabiler Gesundheit, dass ich eine gewisse Menge Kraft und Energie beinah selbstverständlich in mir voraussetze, dass sie für mich die Norm sind.
Auch wenn ich glaube, ein „guter Mensch“ und „behindertenfreundlich“ zu sein – so lange ich diese Norm in mir aufrecht erhalte und es nur schwer aushalte, wenn ich eine kurze Zeit lang nicht „optimal funktioniere“, so lange bin ich ableistisch und damit diskriminierend. Denn auch der Umgang mit uns selber ist politisch, die Worte, die wir uns leise zuflüstern und die sonst keiner hört.
Also noch ein Grund, wirklich langsamer zu arbeiten, wirklich Ruhe und Stille zu suchen, wirklich einsinken zu lassen und zu leben, dass Körper dazu gehören, und zwar alle, in jeder Verfassung.
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Michelle Spencer und Rachel Katz hier im Gespräch“You’re allowed to be on disability only if you’re really broken. You’re not actually allowed to live a good life. / R: This idea that if you’re sick enough not to work, then you don’t deserve joy (…) Joy is only for the productive. / M: Yeah, rest and joy. We have to earn rest. We also have to earn joy. It sort of explains how we treat old people too. Because they cease to be productive.“
siehe auch Meritokratie und Reden über Fehlgeburten