Ich will der Welt Komplexität zumuten.

I am for richness of meaning rather than clarity of meaning; for the implicit function as well as the explicit function. I prefer “both-and” to “either-or,” black and white, and sometimes gray, to black or white.“ — Robert VenturiIch will mich und meine Komplexität ernst nehmen. Anderen meine Komplexität zutrauen. Weder mich noch die Menschen, mit denen ich arbeiten und denen ich begegnen will, für dumm halten.

Das hat zwei Komponenten:

Ich will der Welt meine Komplexität zumuten.

Ich habe zwar ein „Online Business“, aber ich weigere mich (wie die gängige Marketing-Empfehlung lautet), deshalb eine eindimensionale Version von mir online abzubilden. Dienstleister:innen online sollen sich extrem fokussieren und spezialisieren, in die „Nische gehen“, in Sekunden „begreifbar“ sein – wer ist das, was bietet diese Person für wen an. Je klarer und eindeutiger du das schaffst, so wird behauptet, umso mehr Kund:innen bekommst du.

Denn es hat ja angeblich niemand Zeit, und keiner kann sich mehr konzentrieren, und wenn sie länger als drei Sekunden brauchen, um dich auf deiner Website zu begreifen, dann sind sie eh wieder weg und dann zahlt dir niemand Geld und deine Selbständigkeit geht ein und du landest unter der Brücke.

Öhm. Nee. Das ist klassisches Mangeldenken, und es ist eine zu grobe Vereinfachung.

Auf Social Media fühlt sich das noch viel drängender an als auf meinen Websites, noch enger, als könnte ich für höchstens drei Schlagwörter stehen, als müsste ich mich andauernd zu allem positionieren, als wäre es völlig hirnrissig, in einem Profil alle Themen zu posten, als bräuchte ich mindestens ein Dutzend Profile und die Hälfte davon inkognito, also poste ich deshalb meist gar nichts.

Aber so binär sind wir eigentlich gar nicht. Zumindest will ich daran glauben, dass wir nicht so binär sind.

Ich definiere meine Arbeit schon seit Jahren als Patchwork, und der Versuch, mich schnell begreifbar zu machen, hat mich genau so lange frustriert. Inzwischen habe ich das auf den Kopf gestellt: Ich führe sehr schnell ein, dass ich viele verschiedene Outfits trage. Und dass das etwas Schönes ist, wenn da manchmal etwas unter meinem Ärmel hervorblitzt.

Natürlich wähle ich weiterhin aus, welche Teile von mir ich wo in den Vordergrund stelle und was jemand vielleicht später über mich erfährt. Aber ich habe inzwischen nicht mehr das Gefühl, etwas verstecken oder mich glätten zu müssen. Ich erlaube mir, in jedem meiner Projekte als kompletter Mensch anwesend zu sein. Ich erlaube mir, in die Tiefe zu gehen.

Der schöne Nebeneffekt ist, dass mir inzwischen mehr Menschen auch als ganze Menschen begegnen. Dass sie sich mir gegenüber öffnen, und mir ihre seltsamen Verknüpfungen und Kombinationen zeigen, ihr Zweifeln und Zögern, ihre Komplexität, ihren Reichtum.

(Und es bleibt weiterhin ein Kreiseln und Versuchen, und heute hat mich ein Freundi an diesen Text hier von mir erinnert, weil ich mal wieder, schon wieder, mich fragte, ob ich nicht zu viel bin für die Welt, ob ich deshalb meine Arbeit so schleppend bewerbe, weil ich glaube, dafür müsste ich ein klareres Profil haben.)

Die andere Komponente ist:

Ich will der Welt insgesamt mehr Komplexität zumuten, und ich verlange sie von ihr.

Ich habe das Gefühl, diese glatten Oberflächen unserer Bildschirme verstecken vieles vor mir. Sie geben mir auch unendlich viel, keine Frage, aber etwas fehlt oft.

Es braucht weniger Mühe, sich eine glatte, schicke Oberfläche zu bauen.

Es braucht mehr Mühe, online ehrlich und transparent und roh zu sein. Sich selber im Prozess auszuhalten. Andere im Prozess auszuhalten. Fantasievolles Denken braucht per Definition mehr Mühe, weil es anders ist und ungewohnt.

Mir reichen die Oberflächen immer weniger, ich weiß doch, dass da noch was anderes ist.


siehe auch Design muss nicht einfach sein.