Mit Gefühlen arbeiten
Was bedeutet es konkret, bei der Arbeit Gefühlen und Intuition radikal Raum zu geben, sie als gleichwertig zu Logik und Plänen zu verstehen? Wie verändert sich auf dieser Basis die Arbeit – mein selbständiger Arbeitsalltag, die Zusammenarbeit mit anderen, die Produkte, die ich entwickle?
Die Sachlichkeits-Verherrlichung ist eine der Eigenschaften von White Supremacy Kultur, also der Kultur der Überlegenheit von weißen Menschen. Diese vorherrschende Kultur ist für alle Menschen schädlich und erschwert und belastet insgesamt unser Miteinander. Tema Okun hat eine beeindruckende Übersichtsliste dieser Eigenschaften (englisch, PDF) erstellt. Diese Liste ist für mich aktuell eine der wichtigsten Ressourcen auf meinem Weg zum Antirassismus, zusammen mit dieser Übersicht der Stufen auf diesem Weg (englisch, PDF).Was passiert, wenn wir die Gleichung Sachlichkeit = Professionalität auflösen? Wenn wir davon ausgehen, dass es keine „neutralen“ Personen gibt, dass alle Menschen einen eigenen Blick auf die Welt haben, und dieser Blick die Art und Weise färbt, wie sie Sachen verstehen und aufnehmen und verarbeiten? Wenn wir davon ausgehen, dass deshalb jeder Mensch eine gültige Haltung hat, und es unsere Aufgabe ist, diese Haltung zu verstehen?
Was passiert, wenn wir die Ungeduld uns selber und anderen gegenüber abschütteln, die wir sonst spüren wenn wir Gefühle zeigen oder uns nicht klassisch „logisch“ zeigen? Wenn wir Gefühle nicht nur tolerieren, sondern sie aktiv in Entscheidungsprozesse mit einbeziehen?
„A feeling is not a boundary. / A feeling is not a request. / A feeling is not a problem to be solved. / A feeling is a momentary sensation to be experienced.“ – aus Bear Héberts Regeln für GefühleGefühle gehören zur Arbeit dazu, wollen gesehen und gefühlt und vielleicht sogar besprochen werden. Wenn das nicht bewusst passiert, finden sie auf eigene Faust an die Oberfläche, mit aller Wucht, die sie dazu benötigen. Wenn ich meine Gefühle nicht mitnehme, mir nicht die Zeit gebe, hinzuspüren und sie zu durchleben und eventuell mich nach ihnen auszurichten, wird es irgendwo überraschend haken oder bremsen oder mir alles in’s Gesicht fliegen.
„Warum auch sollten Menschen auf der Arbeit ihre Emotionen verbergen? Was wird schlechter dadurch, dass sie zeigen, wie es ihnen wirklich geht? Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Es wird einiges besser, wenn auch schwierige Emotionen einen festen Platz in Organisationen haben. Denn sie sind sowieso da. Und es kostet viel Energie, eine professionelle Maskerade aufrechtzuerhalten.“ – Lena Marbacher in Warum es okay ist, in Meetings zu weinenDas gilt natürlich nicht nur für meine Gefühle, sondern für die aller Beteiligten.
Wie kann ich weich weitermachen? Weich im Sinne von: Mit Raum für das, was ich in mir spüre und ahne. Wie kann ich wirklich langsamer arbeiten?
Ein Anfang: Ich bin bereit, mit meinem Unbehagen, meiner Unsicherheit und meiner Verwirrung zu sitzen und aus ihnen zu lernen, ich bin bereit, meine Wut zu nutzen. Ich suche eine Sprache für diese Gefühle und Rituale zum Hinfühlen. Ich verankere in mir: Bedürfnisse sind keine Probleme.
siehe auch Schuldgefühle verhindern die eigentliche Arbeit und mit weicher Logik denken