Ich habe nicht studiert
Dass ich nicht studiert habe, ist in meinem Fall kein Klassenthema, sondern ein Geld- und Unabhängigkeitsthema. Meine Mutter hat als Grundschullehrerin gearbeitet, mein Vater hat einen Doktor in Physik, ist aber nicht an der Uni geblieben. Er hat angestellt in einigen Firmen gearbeitet und sich dann, spät, selbständig gemacht. Die Unruhe und finanzielle Bedrängnis, die seine Gründungsversuche mit sich brachten, waren auf einem Höhepunkt, als ich meine Ausbildung beendet hatte. Inzwischen sehe ich viel klarer, dass diese Impulse nicht nur aus unserer Familiendynamik stammten, sondern auch aus der mich umgebenden kapitalistischen Kultur, die das alleine Klarkommen bewusst überhöht.In einer leicht abstrusen Logik führten sie bei mir dazu, dass ich mich sofort selbständig machte. Ich wollte, komme was wolle, unabhängig sein und für mich selber sorgen können, ich wollte keine Schulden aufnehmen, ich wollte meins machen und nur für mich verantwortlich sein.
Ich habe lange und oft bereut, dass ich nicht trotzdem Kunst studiert habe, dass diese anderen Impulse stärker waren. Ich habe getrauert um eine (vermutlich stark idealisierte) freie Zeit, die nur zum Verknüpfen und Recherchieren und Lernen da ist. Aber ich arbeite mit dem, was ich habe, und heute versuche ich mir diese Form von freier Zeit selber zu organisieren, finanziert über meine Selbständigkeit, aber auch tief verankert in ihr. Den Minderwertigkeitskomplex habe ich mir weitestgehend abtrainiert und inzwischen muss ich eher grinsen über die unreflektierte Selbstverständlichkeit, mit der ich regelmäßig gefragt werde, was ich denn studiert habe.
Und trotzdem wirkt diese Entscheidung, die ich mit Anfang Zwanzig getroffen habe (mehr von außen gesteuert, als ich es damals je zugegeben hätte, und auf jeden Fall nicht im Wissen um die tatsächlichen Konsequenzen), bis heute nach. Mit meinem seltsamen Lebenslauf bekäme ich vermutlich höchstens in einem risiko-affinen Start Up eine Festanstellung, wenn ich denn eine suchen würde. Wenn ich, was selten genug passiert, angefragt werde, ein Seminar an einer Uni zu halten, ist das Honorar für Nicht-Akademiker:innen meist dermaßen gering, dass ich mir das schlichtweg nicht leisten kann. Und wenn ich eine Absage auf eine Stipendiumsbewerbung oder ähnliches erhalten habe, taucht in mir die Frage auf: Liegt das an meinen Inhalten und meinem Vorschlag, oder doch eher an meinem Lebenslauf?
Darin dann auch der Zweifel, ob ich überhaupt so richtig berechtigt bin, meine Arbeit zu machen. Bin ich, das weiß ich inzwischen. Aber ich ärgere mich weiterhin über die Kraft und Energie, die ich immer wieder für mich in das Beantworten dieser Frage stecken musste.
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Das Kind fragt mit zweieinhalb „Mami was ist ein Studium?“ und die Freundin erklärt: „Ein Studium ist, wenn man sich intensiv und ausführlich mit einer Sache beschäftigt, die einen interessiert“, das Kind antwortet: „Ich studiere Katze und Hund“ und dieser Dialog macht mich froh.
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Der Kompost ist für mich gerade wie Studieren, oder eher wie meine romantische Vorstellung davon. Ich denke so gern dort weiter, ich bin so glücklich über diesen Raum, meine Gedanken vom Vortag nochmal anschauen zu können. Nicht zu Ende denken, sondern einfach weiter.
siehe auch Privilegien, Englisch sprechen können, narrative Identität