Positionierungs-Aktionismus

3. März 2022Ein Krieg bricht aus (den Krieg gibt es schon lange), ich bin unbeteiligt (hier ist keiner unbeteiligt) und betroffen (aber nicht getroffen) also versuche ich etwas zu tun, denn ich habe verinnerlicht, dass man im Tun Probleme löst (wieso tue ich dann so wenig), also versuche ich, das Geschehen zu verstehen (damit fange ich zu spät an), ich versuche, mich auf eine Seite zu stellen, aber ich finde vor allem Fragen (und die eigentliche Frage ist, ob ich es schaffe, diese Fragen als solche eine Weile stehen zu lassen, oder ob ich hastig eine Handlung finden muss).

Ich kann nicht gut damit umgehen, dass ich nichts wirklich Befriedigendes und Schnelles tun kann (so gerne ich vielleicht auch einen großen LKW fahren würde, aus dem heraus ich Mütterchen Medikamente reiche und Kindern Kuscheltiere) (als Bild fühlt sich das gut an, aber ich habe noch nicht einmal einen Führerschein und war noch nie in einem Kriegsgebiet, ich wäre dort mehr Belastung als Unterstützung). Ich muss damit leben, dass ich hier in meinen deutschen Privilegien sitze und nicht dort.

Ich muss mir eingestehen, dass ich seit Jahren etwas tun hätte können und müssen, dass ich unvorbereitet bin, dass ich mit all meiner Arbeit und all meinen Wünschen und Werten diese Entwicklungen nicht aufhalten kann, dass Macht sich einfach brutal auslebt.

Vielleicht auch, und da wird es wirklich wacklig unter meinen Füßen: Dass ich mir Macht hätte erarbeiten müssen, dass wir Politiker:innen oder Lobbyist:innen hätten werden müssen, und nicht nette Coaches oder Künstler:innen.

(Diese Gedanken aushalten, während andere ganz andere Sachen aushalten.)

5. März 2022Eine Freundin schreibt: Ich mag trotzdem daran glauben, dass es auch Künstler:innen braucht. Ich auch. Ich will weiterhin daran glauben, dass auch Künstler:innen gesellschaftliche Arbeit leisten. Dass Politik und Kultur auf ganz vielen Ebenen entstehen. Ich will mich auch jetzt noch anderthalb Stunden am Stück über den entstehenden Roman eines Freundes unterhalten. Ich will auch jetzt zeichnen und Schmuck machen und Löffel schnitzen und Kurse halten.

wieder, wie bereits hier, denke ich an Lynne Tillman: „I am not satisfied with the world, so I add to it. Ich will etwas in diese Welt geben. Ich will langfristig denken, ich will an die Zukunft glauben, ich will mir Projekte ausdenken, in denen Kinder verwilderte Naturflächen erkunden, ich will mit ihnen in das Wäldchen und dass wir uns dort mit Bäumen anfreunden. Denn auch das macht einen Unterschied: Eine Beziehung zu einem Ort knüpfen, zu Bäumen und Pflanzen und Tieren und ihren Spuren, und nicht eine Identität entwickeln anhand von Grenzziehungen.

(Nationalstaaten machen für mich in etwa so viel Sinn wie eine binäre Geschlechterordnung, aber mit beidem muss ich umgehen.)

Dabei geht mir nicht aus dem Kopf, wie jetzt schon wieder so viele Menschen unfreiwillig die Orte verlassen müssen, zu denen sie Beziehungen geknüpft haben, die Bäume, Straßen, Häuser, Menschen, die ihnen nah sind. Das alles im Kopf behalten und weiter machen.

11. März 2022Es ist gar nicht so einfach, den Raum in meinem Atelier als Notunterkunft anzubieten. Zum einen weil ich in den letzten Tagen merke, wie sehr ich mich darauf innerlich vorbereiten muss – ich bin keine Hilfe, wenn ich selber völlig aufgelöst versuche, traumatisierte Menschen zu beherbergen. Ich wünschte, ich wäre anders, ich wünschte, ich könnte sofort in pragmatische, hilfreiche Handlung springen, aber das bin ich nicht. Oder noch nicht.

Zum anderen, weil ich nur einen kleinen Raum in meinen Arbeitsräumen anbieten kann, der nur bestimmte Bedingungen erfüllt, und die Vermittlung im derzeitigen Chaos natürlich nicht einfach ist. Ich versuche, darauf zu vertrauen, dass mein Angebot seinen Weg finden wird, und ich fürchte, dass diese Notlage noch eine Weile weiter besteht, und es deshalb vielleicht gar nicht schlecht ist, wenn es auch dann noch Räume gibt, wenn die vielen ersten bereits gefüllt sind.

Es ist außerdem schwierig, darüber mit anderen zu sprechen, ohne dass sofort eine Art von Vorwurf im Raum steht, die nicht ausgesprochene Erwartung, dass das alle machen müssten. Aber es müssen nicht alle Räume anbieten und das können nicht alle machen, und es ist niemandem geholfen, wenn jemand nach ein paar Tagen feststellt, dass er:sie das nicht packt und die Flüchtenden nochmal auf die Straße stellt.

Wie ist das eigentlich passiert, dass wir uns gegenseitig, selbst in den vertrauensvollsten Beziehungen, auf eine Art immer gegenseitig auf Unschuld oder richtiges Handeln abklopfen und kontrollieren? Mir fehlt manchmal eine großzügigere Grundhaltung, eine, in der wir einander zutrauen, dass wir alle unser Bestes geben, dass wir, so gut wir eben können, versuchen zu helfen und beizutragen.

(Der zynische Anteil an mir murrt an dieser Stelle, dass es ja nicht so weit gekommen wäre, wenn das tatsächlich der Fall wäre.)

Es ist so eine absurde, sich immer stärker aufdrängendere Gleichzeitigkeit in allem.

von Kateryna Kalytko, aus dem Ukrainischen übersetzt von Olena Jennings und Oksana Lytsyshyna, gefunden bei Ilya Kaminsky

Life is a house on the side of the road,
old-world style, like our peasant house, divided into two parts.
In one, they wash the dead man’s body and weep.
In the other, they dress a bride.

10. Mai 2022Seit Mitte April lebt eine Person aus der Ukraine übergangsweise bei mir im Atelier.

Weil ich in dieser Zeit so viel über Fehlgeburten und unerfüllten Kinderwunsch schreibe und lese, vermischten sich allerlei Gefühle in mein Warten darauf, dass es „klappt“, dass es tatsächlich passt und ich jemanden aufnehmen kann. Es fühlte sich komisch an, nicht helfen zu können, nachdem ich entschieden hatte, den Raum anzubieten, und wo ich doch wusste, dass eigentlich so viel Hilfe gebraucht wird – als würde niemand zu mir wollen. Vermischt mit Scham darüber, wie sehr es in diesem Blickwinkel um mich geht.

Und es bleibt so glitschig, ich kann mich aus dieser Gleichung nicht herausnehmen.

Hier schreibe ich mehr über den Versuch zu helfen.


siehe auch Unschuld abschaffen, es richtig machen / Recht haben, Reinheit als Konzept ist eher schädlich, langsamer arbeiten und die Aufmerksamkeit auf das richten, was ich liebe