Schmuck als Besitz
„I wish I’d brought the picture, the baby sheep, to give Pilun.“ But he had not brought anything. His hands were empty, as they had always been. – die letzten Zeilen von The Dispossessed von Ursula K. Le Guin, 1974Shevek, die Hauptfigur in Ursula K. Le Guins anarchistischer Utopie „The Dispossessed“, reist immer ohne Gepäck. Shevek durchquert unterschiedliche Welten, hat nichts dabei, nimmt nichts mit, bringt nichts zurück.
Auch in der besitzlosen Gesellschaft von Anarres, aus der Shevek stammt, gibt es geliebte Gegenstände: eine von unbekannter Hand gewebte orangene Decke, die Drahtmobiles, die seine Partnerin baut und aufhängt, eine klobige Tasse, die ihre gemeinsame Tochter im Learning Center töpfert. Aber diese Gegenstände reisen nicht mit, sie bleiben zurück, sie werden ersetzt, sie haben kurz Bedeutung und müssen dann keine mehr tragen.
Mein Impuls, Schmuck zu machen, ist im Kern der Impuls, geliebte Gegenstände zu erschaffen. Gegenstände, die einen Moment festhalten können oder eine Intention oder eine Haltung, die Fragen stellen, die etwas verkörpern. Luftige Dinge also, aber gleichzeitig auch einfach Dinge. Die in unserem Verständnis dann ein Mensch besitzt, weil sie:er sie gemacht oder gekauft oder geschenkt bekommen hat. Über die sie:er verfügt und weitergeben oder für sich behalten kann.
Ich habe das Verdinglichen von Momenten und den Wunsch nach geliebten, bedeutsamen Gegenständen bisher nie in Frage gestellt.
Die materielle Komponente von Schmuck habe ich natürlich in Frage gestellt, und das Konzept von Schmuck als Statussymbol aufgrund seiner teueren Materialien oder, im Bereich des „Autorenschmucks“, weil er kulturell-intellektuell-künstlerisch aufgeladen wird, und ich habe die ganze Maschinerie der Wertung und Bewertung der besten, originellsten, handwerklichsten, künstlerischsten, etc. Schmuckstücke in Frage gestellt. Aber mir kam nie richtig in den Sinn, dass Schmuck machen immer auch Besitz machen heißt.
Schmuck gibt es nur in den ländlichen Regionen von Le Guins Mondwelt, in der Hauptstadt gilt das sich-selber-Schmücken als unkultiviert. Ich hänge mir meinen Besitz um.
„Es fehlten auch Dinge: Dokumente, ererbte Stickdecken, Schmuckstücke, Taschentücher mit Monogrammen, Briefe auf altem Papier, Babylöckchen in einem Amulett; Dinge, die innerhalb von Familien Zeit zusammenbinden und Gedächtnis bewahren. Es war immerhin benennbar, dass sie nicht da waren.“ – Ulrike Draesner in Grammatik der GespensterWie Geflüchtete an neuen Orten ankommen, oft mit kaum einem dinglichen Andenken an ihr Zuhause. Ob das Absicht ist, oder es für sie keine Rolle spielt, oder es nichts mehr mitzunehmen gab. Ob ihr Schmuck verkauft werden musste oder verloren ging oder geklaut wurde.
Wie Obdachlosigkeit Besitz erschwert, weil es keinen sicheren Ort zum Aufbewahren des Besitzes gibt, weil nicht mal mehr der eigene Körper ein sicherer, wirklich privater Ort ist.
Wie stark Literatur und Film und Theater und Fotografie, Kultur insgesamt vielleicht, über Objekte funktionieren, die symbolisch aufgeladen werden und dann als Verdichtung durch die Geschichte getragen werden. Wäre das ein lohnenswertes Experiment, ohne diese Verdichtung zu schreiben? Was erzählen wir uns mit unseren Objekten?
Was für eine Welt bräuchte es, um Schmuck nicht als Besitz zu machen? (Ich webe Stöcke und Gräser zusammen und hänge sie dem Baum um.)
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Kurz darauf lese ich in Marjan Ungers Jewellery in Context den zweiten ihrer einleitenden Lehrsätze:
Jewellery is essentially nothing less than wearable money; all the same, it can be more than wearable money.
siehe auch eine Definition von Schmuck