Wir sind genug.
Ich schreibe hier teils mit einem alleswir, denn ich glaube daran, dass jeder Mensch vollständig ist und sein Mensch-Sein nicht erst beweisen oder verdienen muss. An anderen Stellen schreibe ich mit einem ichwir und meine damit in diesem Fall Menschen, deren Grundbedürfnisse erfüllt sind, die einen gewissen zeitlichen und finanziellen Spielraum und vermutlich mehrere Privilegien haben. Ich will keinesfalls andeuten, dass Menschen, die in prekären Umständen und in Not leben, auch noch darin Zufriedenheit finden sollten. Bestimmten Gruppen von Menschen wurde nie wirklich genug zugestanden, und da stehe ich sehr bei Kelsey Blackwell, die hier schreibt: „Too many marginalized bodies are conditioned to accept “just enough.” I know this mantra all too well. The truth is, just enough is not really enough. We deserve to have more than enough space to express our bodies, more than enough space to lift our voices, more than enough space to claim our boundaries and protect ourselves. For BIPOC bodies, more than enough is not about extending beyond sustainability. It’s about reparations and claiming what is rightly ours.“Ich glaube fest daran, dass es einen Punkt von „genug“ gibt.
Genug gearbeitet für einen Tag. Gerade weil wir niemals fertig werden mit dieser Arbeit. Allmählich schließe ich wirklich Frieden mit dem Gedanken, dass ich eine bestimmte Zeit habe an einem Tag und die mir einteile für die verschiedenen Sachen, die ich machen will. Wie ein Getränk, oder eine Mahlzeit – die teile ich mir auch ein, und danach ist das Glas und der Teller leer und ich habe genug für den Moment, bin hoffentlich satt und zufrieden und kann das in mir spüren.
Genug gelitten für ein Jahr. Und jetzt darf Hilfe angenommen werden, und geweint werden und weich werden, und jetzt darf die Wut kommen und sich Platz nehmen.
Oder: Genug verdient für ein Jahr. Und jetzt darf eine Ruhe reinkommen, darf das rastlose Hinterherhecheln losgelassen werden, muss der Druck auch verabschiedet werden.
Genug gewachsen. Genug probiert. Genug geholfen für den Moment. Genug Listen geschrieben und versucht, sie abzuhaken.
Ich glaube daran, dass ich genug bin. Lies: Dass ich wertvoll bin, weil Mensch.
Ich glaube daran, dass du genug bist. Lies: Dass du wertvoll bist, weil Mensch.
Ich bin mir sicher, dass in einem persönlichen Gefühl von ausreichend – ich werde ausreichend geliebt, ich bin ausreichend stark / schön / klug / …, ich habe ausreichend gut für mich gesorgt – ein Schlüssel liegt für eine größere gesellschaftliche Veränderung.
Wie würde sich ausreichend für dich anfühlen? In deinem Körper? Wann bist du (trotz allem und mit allem) durch und durch zufrieden?
„Are you satisfiable?“ – eine Frage von Staci Haines, aufgegriffen von adrienne maree brown in dem Buch Pleasure Activism, nachzuhören zum Beispiel in diesem Podcast, in dem adrienne fragt: „When was the last time you were satisfied? Can you imagine being satisfied? What are the things that satisfy you in a given day? How do you know that you have done enough in a given day? Do you understand that you don’t have to produce anything to deserve satisfaction?“Kannst du zufrieden sein?
Eine Idee: Das Gefühl von genug, von ausreichend, spüren und feiern. Zufriedenheit bemerken und feiern. Den Feierabend feiern. Alles was da ist feiern. Dankbarkeit feiern.
Tief und bewusst und täglich üben, zufrieden sein zu können.
(Auch wenn du nicht produktiv warst an dem Tag, denn das musst du nicht sein.)
Ich will das üben, weil es mir nicht leicht fällt. Diese Strukturen (und die dazugehörige Kultur) haben so stark dafür gesorgt, dass Zufriedenheit und Freude und Ausgefülltheit nicht zum Grundrecht jedes Menschen gehören, dass ich mir inzwischen immer erst die Erlaubnis geben muss, einen Moment zu genießen, mich voll und befriedigt und glücklich zu fühlen, während es doch so vielen anderen am absoluten Minimum mangelt.
Dabei wäre das eine Form des Widerstands gegen genau diese Strukturen, und auch deshalb will ich es üben: Denn zumindest Teile dieser Systeme funktionieren nur, solange wir mitmachen und mitstreben, mehr arbeiten, mehr verdienen, mehr ausgeben, solange nie etwas gut genug ist.
Zufriedene Menschen glauben nicht so schnell daran, dass sie kaputt seien und sich Lösungen dafür kaufen müssen. Sie sind bei sich und hören, was ihre Körper sagen. Zufriedene Menschen lassen sich nicht so leicht unterdrücken.
siehe auch Was ist die richtige Größe für mich? und Du gehörst dazu