Tante Alles
Die Tante Alles ist ein Gedicht- und Essayband, der im März 2022 bei hochroth München erschienen ist.
Dieser Band ist ein weicher Beutel, der autobiographische Gedichte, Prosa-Miniaturen und verdichtete Tagebucheinträge enthält.
schreibt Lea Schneider hier
Es sind die fantastischsten, leichtfüßigsten, unbedingtesten Gedichte, die ich seit SEHR langer Zeit gelesen habe. Allein der Titel ist schon so gut, und das Buch liefert mit jedem einzelnen Gedicht. Es geht ums Tantesein, die Frage, ob mensch lieber Mutter wäre oder eben gerade nicht, um Fehlgeburten und andere Ereignisse, bei denen der Körper an Wissen gewinnt.
Das sind die beiden Zettel, die ich in das Heft klebte, in dem die Texte ihren handschriftlichen Anfang fanden, an einem kleinen Schreibtisch in einer winzigen Dachkammer in Finnland.
Ich erzähle in diesem Band von meinem Umgang mit dem Begriff Tante, als biologische Tante meines verstorbenen Neffens und als Wahltante meines lebenden Patenkindes, von meinem endlosen Kreisen um die Entscheidung, keine eigenen Kinder zu bekommen, und von dort wieder zurück zu der Frage, wie und mit welchen Modellen ich als queere Person Familie leben will und kann.
In Finnland gab es eine Schreibmaschine.
Es geht in den Tantentexten also natürlich um das Tantensein, aber eben auch um Alles – um das Zeugen oder Nicht-Zeugen von Kindern, um Kinder, die sterben und welche, die leben, um Krähen, um die Bedeutung von Familie und Freund:innen, um Salzstangen und Geschlechtsidentität.
Bestellung
Ricarda Kiel
Tante Alles
hochroth München 2022
ISBN 978–3-903182–98–1
€ 8,-
Hier beim hochroth Verlag kannst du den Band bestellen und schon vorab ein Gedicht daraus lesen, die Standortbestimmung eines Mondes. (Oder du bestellst die Tante einfach in deiner Lieblings-Buchhandlung.)
Leseeindrücke
schreibt Anna Kow im Logbuch, der Literaturbeilage des Kreuzers
Es geht um Abschied, doch zugleich auch um eine Geschichte der Klarheit und Verankerung in den gewählten Verbindungen, zu den wichtigen Freuden und Freiheiten. Zu diesen dreien gehört das Konzept des Tante-Seins. Mutterschaft ist das, was scheinbar keiner Erklärung bedarf, alle anderen Formen müssen hergestellt, benannt und verteidigt werden. Das bringt ein paar Freiheiten mit sich, aber eben auch die Möglichkeit der Heimatlosigkeit in der dominanten Erzählung. Dieser Heimatlosigkeit setzt Ricarda Kiels ‚Tante Alles‘ in schöner, kluger und vielschichtiger Form etwas entgegen, weswegen es nicht nur Tanten aller Geschlechter aufs Wärmste empfohlen sei.
aus dem Artikel Die männliche Tante als Mond im Freitag von Beate Tröger
(…) die Gedichte in Tante Alles gehören für mich zu den bezauberndsten des Jahres. (…) Die Tante ist komisch, schräg, anarchisch, liebevoll und oft auch ein bisschen traurig, vielleicht weil ihr eigene Kinder fehlen, im Fall der Kiel’schen Tante auch aufgrund der Erfahrung einer Fehlgeburt und der Kinderlosigkeit. Daraus erwachsen aber anrührende Verse, auch solche, die sich dezidiert mit Zuständen von Fülle und Leere auseinandersetzen, die eine Sprache für seelischen Schmerz und für die Lust am Schöpferischen und Spielerischen gleichermaßen finden.
schreibt Tröger ausführlicher im Signaturen-Magazin
Wer in der Rolle der Tante ist, steht in Beziehung zugleich auch immer in gewissem Abstand zur Bezugsperson, ist aber zugleich auch, außer in der Rolle der Nenntante, immer auch qua Familie in Beziehung: ‚Tante ist die andere Seite von Mutter‘, formuliert es Kiel in einem der Gedichte, die mit Verve, mit Lust, mit Humor, mit Zögern und mit Zweifeln diesen besonderen Status feiern. Es ist ein Status, der mit der ‚Freiheit sich zu verschwenden‘ ebenso ausgestattet ist, wie mit der ‚Freiheit sich zu binden‘. Es ist ein Status der Anarchie, der Schrulligkeit, der die Polarität von Nähe und Abstand häufig ins Bewusstsein holt. (…) Andererseits ist da die bereits angedeutete, mal leise, mal ostentative (Selbst-)Ironie im Ton der Sprecherinstanz, mit der die Binaritäten aufgebrochen und ausgehebelt werden, vor allem aber in Wandlungsfähigkeit und der schöpferischen Potenz, mit der sich ‚Tante Alles‘ selbst und selbstbewusst in ihrer Freude über ihre Autonomie und in ihrer Trauer über Verlust und Einsamkeit ausstattet und aus der heraus sie ihre Gedichte schreibt.
schreibt das other writers Kollektiv hier
Auf welche Weise können wir Verantwortung übernehmen? Was heißt es, dass Tante die ‚andere Seite von Mutter‘ ist? Und wie empathisch kann eine Zahnärztin sein? Der Gedicht- (und Prosa-)Band ‚Tante Alles‘ von Ricarda Kiel erkundet Fürsorge für kleine Kinder abseits von biologischer Elternschaft, beschäftigt sich mit der Ambivalenz eines Kinderwunschs und rückt in zwei präzise gearbeiteten Prosatexten das immer noch tabuisierte Thema Fehlgeburt in den Fokus. Sicher wechseln die Texte zwischen Schmerz, Reflexion und leisem Humor. ‚ich bin jetzt eine männliche Tante / und ein weiblicher Onkel / und eigentlich ein Mond / der jede Nacht woanders aufgeht‘, lautet das versöhnliche Resümee, und die Tür im letzten Vers wird nicht geschlossen, sondern vorsichtig angelehnt. Den Weg dorthin nachzulesen, sei hiermit nachdrücklich empfohlen!
schreibt Dincer Gücyeter vom Elif Verlag
so selten kommen in lyrik humor und tiefe zusammen. ricarda kiel hat etwas schneidiges, ohne umwege baut sie neue oasen, wo leser:innen neue perspektiven entdecken, den blick auf die andere seite richten können. jeder wird in diesen gedichten vieles aus eigenem leben finden, dieser dünne band ist auch ein kosmos.
Gespräche
In diesem Interview spreche ich mit Alicia Metz über die Entstehung des Buches, die Mischform aus Prosa und Lyrik, wer die „Tante Alles“ eigentlich ist und was für eine Familie ich mir inzwischen geschaffen habe.
In der Folge 39 des Literatur-Podcasts Blauschwarzberlin liest die Buchhändlerin Maria-Christina Piwowarski sehr schön aus der Tante vor.
In einem digitalen Briefwechsel mit der Autorin Bettina Wilpert gehen wir der Frage nach, wie Fehlgeburten sich auf Menschen auswirken und wie wir als Gesellschaft anders damit umgehen können. Hier geht’s zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3.
Notizen
Ergänzend zu dem Buch selber schreibe ich Notizen, in denen ich die Tantenthemen aus anderen Blickwinkeln anschaue, journalistischer vielleicht, essayistischer, auf jeden Fall mehrstimmiger. Hier die bisher entstandenen:
- Eine Definition des Begriffs Tante und der Versuch einer Definition des Begriffs Familie
- Wer die Tante Alles eigentlich ist
- Zum Sprechen über Fehlgeburten, und warum ich das wichtig finde, mit Beispielen von Menschen, die über Fehlgeburten sprechen und schreiben auf eine Art, die mich berührt und getragen hat
- Gedanken zu der Frage, wer sich Eltern nennen darf und will, und dass nicht alle Eltern lebende Kinder haben
- Über die Berechtigung, über sich selbst zu schreiben
- Über das autobiographische Schreiben und die Selbstmythisierung
- Gedanken zu gemeinschaftlichen Ritualen, wie ich eines in dem Krähen-Langgedicht entwerfe
„There will be children, though often not in the ways we expect them.“ – Anne Boyer